aus dem schweigen

Sonderausstellung 2024 im Stiftskirchenmuseum Himmelkron | Vernissage am 3. Mai 2024 | Einführungsvortrag von Prof. Dr. Eckhard Frick sj, München

Titel und Exponate dieser Ausstellung laden ein zur Berührung mit dem Unsagbaren, Opaken (Vogel 2021) in Kunst und Spiritualität. Kunst spricht das Unsagbare aus – eigentlich ein Widerspruch in sich selbst, der durch diese Zeilen noch verstärkt wird. Ulrike Streck-Plaths Ausstellung ist auch eine Anschauung, teilweise sogar auf Tuchfühlung, zu der die Besuchenden immer wieder eingeladen werden, zum Kontakt mit Filz, Papier und anderen Materialien. Es wird uns etwas ausgestellt, damit wir es anschauen können und insofern in eine Verbindung, in ein Gespräch mit dem treten, was uns da entgegentritt. In der Mehrzahl sind es Figuren, menschliche Antlitze.

Unsagbarkeit kann ja sehr verschiedene Gründe haben (Liebert 2017). Es gibt die perplexe Unsagbarkeit, Ratlosigkeit, Überraschung, vielleicht Bestürzung, Fassungslosigkeit, die uns daran hindert, etwas zu sagen. Es gibt die erkannte Unsagbarkeit, die wohl die Künstlerin in sich aufgenommen hat, um zu sagen: Hier kann ich nichts sagen. Hier nehme ich den Filz, einen helleren, einen dunkleren, nutze den Vorgang der Verfilzung. Hier hänge ich etwas auf, weil ich erkenne, hier reichen die Worte nicht. Die geschaute Unsagbarkeit als Drittes verbindet Künstler und Besuchende miteinander. Wir können Unsagbares anschauen. Neben der perplexen und der erkannten und der geschauten Unsagbarkeit gibt es die normative Unsagbarkeit. Das heißt, die Unsagbarkeit, die gefordert wird, die angeordnet wird, die vielleicht ein Gesetz ist.

Es gibt zwei Perspektiven im Entstehen der Kunst und in ihrer Rezeption: Zum einen die transzendente Perspektive: Wir sehen über das Material hinaus auf das, was wir nicht sehen können, was uns entzogen ist. Eine brennende Kerze kann auf Göttliches verweisen, kann auch für die Präsenz eines gestorbenen Menschen stehen. Auch die Kunst legt Spuren, die auf Unsagbares hinweisen. Deshalb kann Kunst auch so schockieren, dass sie attackiert oder sogar zerstört wird. Der Hinweis auf das Spirituelle kann für die zerstörende Person so unerträglich sein, dass sie das materielle Substrat der Kunst beschädigen oder vernichten muss. Neben dieser transzendenten Perspektive und Positionierung gibt es aber und viel häufiger nicht-transzendente, non-transzendente, also die Beschränkung auf das, was wir sehen, messen, behandeln, erforschen, bezahlen können. Wir beschränken uns auf das, was wir festhalten können.

Als Besucher der Ausstellung gewinne ich den Eindruck, dass die Künstlerin sich transzendent positioniert. Der berührbare Filz, Papier, Holz oder andere Materialien führt uns über die Materialität hinaus gerade dort, wo an geschundene oder getötete Menschen erinnert wird. In der Begegnung mit den Gestalten der Ausstellung, mit menschlichen Antlitzen, fällt eine Form- und Zeichensprache auf, mit der die Künstlerin seit 2007 arbeitet: Ein „T“ (franziskanisches oder Antonius-Kreuz). Es wird nach dem Mönchsvater Antonius benannt, weil es als Abtsstab mit Querholz gesehen werden kann.

Im neuen Testament lesen wir in verschiedenen Varianten (Mt 10,39: 16,24 u.a.) Jesuswort: Wer meinen Weg gehen will, sage sich von sich selbst los, nehme sein Kreuz auf sich und gehe hinter mir her. Das wurde häufig verstanden in dem Sinn, Schlimmes anzunehmen, Leid anzunehmen, damit es sich verwandeln kann. Manchmal wurde das Wort sogar masochistisch missverstanden. Kreuze in Kirchen wurden als Aufforderung missverstanden, das jeweilige eigene „Kreuz“ mutwillig herbeizuführen.

Aber es gibt auch eine andere Spur in der Bibel Israels beim Propheten Ezechiel (Ez 9,4). Dort wird eine Person mit Schreibzeug angesprochen: „Durchquere die Stadt Jerusalem und schreib ein ת auf die Stirn derer, die stöhnen und ächzen angesichts der abscheulichen Taten, die in ihrer Mitte verübt werden“. ת (Taw) ist der letzte Buchstabe des hebräischen Alphabets. Das Bezeichnen mit dem ת / Kreuz bringt Leid und Geborgenheit zusammen, ebenso wie die in dieser Ausstellung gezeigte Kunst.

Leid und Geborgenheit sind Gegensätze, weil das Leid heimatlos macht. Verlassen in den Schmerzen, in der Angst, in der Gebrechlichkeit, letztlich im Sterben: Wie geht das mit Geborgenheit zusammen?

Die mit dem ת / T bezeichneten Gestalten der Ausstellung schauen die Besuchenden an, die Schauende und Angeschaute sind. Sie gleichen den ikonischen Köpfen, die Alexej von Jawlensky nach dem I. Weltkrieg schuf, und deren Fluchtpunkt in der Betrachterin liegt. So kann sich auch das ת / T in Ulrike Streck-Plaths Ikonen dem Betrachter einprägen. Es erinnert an das Kreuzzeichen, mit dem die Täuflinge in die Kirche aufgenommen und die Sterbenden verabschiedet werden. Der Filz, die Felle legen Spuren von Geborgenheit. Wir benennen das in der Psychoanalyse auch mit dem englischen Wort containing, beinhaltend. Wir werden Gefäße, die das Leid aufnehmen, um es zu verwandeln, zu verdauen. Dem Leid nicht vorschnell einen Titel oder eine Antwort geben, aber es doch so in uns aufzunehmen, dass es sich verwandeln kann.

Wenn wir über das Leid sprechen, vom Leid hören, dann kann das in einer ausdrücklichen Weise geschehen, explizit, wir werden damit überschwemmt in den Medien, die uns das Leid ins Mobiltelefon bringen, in den Fernseher, ins Internet, in die Zeitung. Explizit, ausgefaltet, ist auch die kirchliche Verkündigung. Viel häufiger geschieht die Suche nach Gott, die Suche nach dem Heiligen und dem Spirituellen jedoch in impliziter Weise, gewissermaßen zusammengefaltet und noch nicht entfaltet, auch oft sprachlos, sprachunfähig. Das Unsagbare verschwindet in der Privatheit, kann nicht einmal mit den nächsten Menschen kommuniziert werden, sodass auch kaum über die Hoffnung und die Verzweiflung gesprochen wird.

Wenn uns nicht plötzlich ein Ruf entweicht, aus uns hervorbricht, dass wir angesichts einer überraschenden oder auch schlimmen Nachricht sagen: „Oh Gott“, dann wissen wir nicht einmal, dass das ein Gebet ist, diese Interjektion „Oh Gott!“. Die implizite Suche nach dem Heiligen sucht auch nach dieser Geborgenheit, die das Leid nicht leugnet, sondern aufnimmt, wie ein Schwamm, wie ein Filz, eben wie ein Kunstwerk, das uns anschaut. Die Ausstellung in Himmelkron wunderbar geerdet, steht auf dieser Erde, wo sich, wie wir hoffen, das Leid in Geborgenheit wandeln kann.

Öffnungszeiten: Jeden Sonntag bis einschließlich 29. September 2024, von 13.30 Uhr bis 16.30 Uhr.

Quellen:

Liebert W-A (2017) Das Unsagbare. In: Lasch A,  Liebert W-A (Hg.) Handbuch Sprache und Religion. Berlin Boston:: de Gruyter. 265-287.

Vogel RT (2021) Das Undurchschaubare. Opazität als erkenntnistheoretische Schnittfläche von Kunst und Spiritualität. Spiritual Care 10:253–256.

Der frei gehaltene Vortrag wurde vom Autor transkribiert und für die Zeitschrift SPIRITUAL CARE bearbeitet. Für diese Seite wurde der Text freundlicherweise vorab zur Verfügung gestellt. Maintal, 1. Juni 2024.